Ausstellung Berlin

Nach jahrzehntelanger Forschung ist seit etwa Dezember 2022 die künstliche Intelligenz im Alltag vieler Menschen angekommen. Sie wird skeptisch beurteilt oder auch euphorisch gefeiert. Was sie für die Zukunft der Menschheit bringen wird, vermag hingegen aktuell niemand realistisch zu beurteilen.

Was macht generative künstliche Intelligenz im aktuellen Entwicklungsstadium?

Ohne den Umweg einer Universalsprache des Denkens, wie sie Gottfried Wilhelm Leibniz erdacht hatte, wird ein großes Sprachmodell mittels riesiger Textmengen direkter menschlicher Sprache mit mehreren Hundertmilliarden Parametern darauf vortrainiert, neue Texte zu erahnen. Die künstliche Intelligenz erkennt Muster, erzeugt Wiederholungen und präsentiert auf dieser Basis vermeintlich Neues.

Was alles hat das jedoch mit Straßenfotografie zu tun?

Ähnlich wie die künstliche Intelligenz in Texten oder Bildern ist der Straßenfotograf in der riesigen Welt unterwegs, um Muster sowie Wiederholungen zu erkennen und sie fotografisch festzuhalten. Im urbanen Raum gibt es unzählige visuelle Parameter, die sich im Millisekundenbereich laufend ändern. Genau wie die künstliche Intelligenz ist der Fotograf darauf trainiert, das bald Folgende zu erahnen. Werden sich die Blicke der beiden Stehenden mit ähnlicher Haarpracht in der Bahn kurz treffen, werden sich die Wege der vier Gestreiftgekleideten am Zebrastreifen kreuzen? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Wenn es dem Fotografen gelungen ist, diesen einmaligen Moment mit interessanten Mustern oder Wiederholungen festzuhalten, ist er bereits auf der Suche, dieses Bild in einen größeren Kontext zu bringen. Ihn beschäftigt die Frage nach dem übergreifenden Muster?

Da ist das Foto mit dem Mann in Berlin, dessen Locke sich ungewollt von der Lockengruppe absondert. Was wird das Foto sein, das das Muster aufnimmt? Eine ausgefranste Tischdecke in einer Waldgaststätte? Gespleißte und ungespleißte Kabel? Ich habe jahrelang nach dem Foto zu dem Foto gesucht. - Dann auf Mallorca beim Einsteigen in den Bus ist mir die Frau in der ersten Sitzreihe mit dem Korb auf dem Schoß aufgefallen, bei dessen Fransenverzierung genau ein Fadenbündel fast so wie beim Lockenkollektiv sein Eigenleben mit Zugkraftgewalt durchgesetzt hatte. – Ich habe die Fahrkarten beim Fahrer gekauft, das Wechselgeld in Empfang genommen und habe zeitgleich dieses Körbchen fotografiert, um dann meinen Platz einzunehmen und um dort festzustellen, dass keines der Fotos die nötige Schärfe hatte. Also bin ich nochmals in die erste Reihe gegangen und habe die Frau gefragt, ob ich ihr Körbchen fotografieren dürfte. Ich hatte das Muster gefunden und wollte es unbedingt festhalten.

Straßenfotografie bringt unterschiedliche Orte sowie unterschiedliche Zeiten zusammen und erschafft so etwas bereits Vorhandenes und doch Neues. Straßenfotografie schafft aus vielen Fotos einen neuen Bildertext. Genau wie die künstliche Intelligenz befindet sich der Straßenfotograf im Lernmodus der Mustererkennung. Straßenfotografie ist quasi Gehirnjogging.